Über das Schenken – ein Text zum Heiligabend, vielleicht zum Nachdenken

    Heiligabend ist der eine Abend im Jahr, an dem das Schenken mehr ist als eine Geste. Das Schenken nicht feierlich zu verklären, sondern ehrlich zu betrachten, dazu lädt der folgende Text ein. Er stammt aus meinem Buch Das Buch für alle Tage.

    Gedanken über Geben, Nehmen und die feinen Zwischentöne

    Was geschieht eigentlich, wenn wir schenken?
    Welche Absicht steht dahinter – und was macht das mit dem Gegenüber?
    Der folgende Text stellt diese Fragen und versucht, Klarheit zu schaffen.

    Über das Schenken

    Geschenke sind bekanntlich zweischneidig: Mal treffen sie voll ins Herz des Beschenkten, mal sind sie total daneben.
    Hinreichend belegt ist die zweite Aussage mit dem altbekannten Deo-Beispiel: Die Bürokollegin hat Achselschweiß und man traut sich nicht, es ihr zu sagen, also schenkt man ihr kommentarlos ein Deo. Im Beispiel nimmt es die besagte Kollegin kommentarlos an. Fortan aber ist das Verhältnis frostig. Ob sie von da an auch wirklich nicht mehr unangenehm riecht, wird nicht dokumentiert.
    Nicht zu trennen von Geschenken ist die ebenso brenzlige Thematik »Geben« und »Nehmen«. Genauso gut geben können wie nehmen können. Mit welcher Absicht wird gegeben? Tue ich mir selbst einen Gefallen oder ist es echte Liebe zum Nächsten? Schenke ich dann vielleicht auch noch im Verborgenen? Das gilt in unserer Kultur als die echteste Schenkmotivation, die selbstloseste. Sie transportiert etwas Hehres. Jedes Kind lernt, dass solche Wohltätigkeit irgendwie irgendwann wieder belohnt wird. Im Geschäftsleben mag eher die andere Version ihre Berechtigung haben: Tue Gutes und rede darüber. Lass dir eine Spendenquittung geben. Lass dich, mit dem Scheck in der Hand, von der Presse ablichten.
    Geschieht Schenken aus dem Wunsch heraus, eine Beziehung zu pflegen? Also voller Absicht? Vielleicht eine Verpflichtung auszugleichen? Oder mit dem Beweggrund, beim anderen einen festgestellten Mangel auszugleichen, wie im Deo-Beispiel? Nicht untereinander geklärt wurde hier, ob beide Parteien dasselbe Bedürfnis haben – denn befriedigt wurde da nur der Wunsch der schenkenden Kollegin.
    Manche Geschenke gehen unter der Bedingung raus, dass doch bitte ein Gegengeschenk auf dem nächsten Geburtstagstisch oder unter dem Weihnachtsbaum liegen soll. Oder dass mit dem Geschenk, zum Beispiel dem Erbe, so verfahren wird, wie der Erblasser es verordnet hat. Hier handelt sich der Beschenkte eine Verpflichtung ein.
    Damit wird die Lust zur Dankbarkeit getrübt.
    Wie wäre es mal andersherum:
    Danke sagt nicht nur der Beschenkte, sondern auch der Schenkende. Denn er hat mit seiner Gabe die beglückende Möglichkeit, wieder Gerechtigkeit im System herzustellen. Danke, dass ich dir etwas geben darf. Ich darf dir doch hoffentlich was schenken? Bitte sei so gut und nimm es.
    So würde manchmal auch das »Nehmen« einfacher.
    Natürlich nicht für solche, die ohnehin lieber nehmen als geben. Man wüsste da so manche in unserem Staat, die fürs Nehmen kein Weihnachten brauchen.

    aus: Irmgard Rosina Bauer, Das Buch für alle Tage, 2024

    Vielleicht ist Heiligabend genau der richtige Moment, das Schenken neu zu denken – nicht größer, nicht besser, sondern ganz einfach bedachter.

    Mehr Gedanken rund um Weihnachten gebe ich dir hier:

    Cover des Weihnachts-Booklets Alle Jahre wieder von Irmgard Rosina Bauer mit grünem Hintergrund, roter Schleife und humorvoller Illustration eines feststeckenden Weihnachts-Elfs.
    Inhaltsverzeichnis des Weihnachtsbooklets mit Gedichten und Texten zur Advents- und Weihnachtszeit

    Dies sind zwei Kostproben aus dem Weihnachtsbooklet „ALLE JAHRE WIEDER. Bedenkliche Weihnachtszeit“

    Gedichtseite ‚Kerze Zwei‘ aus dem Weihnachts-Booklet von Irmgard Rosina Bauer mit Text über den zweiten Advent und einer Illustration eines Geschenksacks.
    Illustrative Gedichtseite ‚Ein Christbaum‘ von Irmgard Rosina Bauer mit stilisiertem Tannenbaum und typografisch angeordnetem Text über die frühe Weihnachtsverführung im Oktober.

    Hol dir hier ALLE JAHRE WIEDER. Bedenkliche Weihnachtszeit.

    Und ein weiteres Herzensprojekt zum Jahresende? Heitere TORheiten aus Hermannstadt in einem Kalender 2026

    Ein Hoftor, daneben etwa 50 Hoftore als Galerie. Text: TORheiten aus Hermannstadt. Links daneben das Cover einer Siebenbürger Studienarbeit mit Coverfoto einer prachtvoller Frauentracht
    Viele Hoftor-Fotos ergeben zusammen mit meinen Zweizeilern heitere TORheiten.

    Meine Reise ins Land meiner Vorfahren, nach Siebenbürgen und Hermannstadt im Jahr 2024, hat mich zu einem humorvollen Projekt inspiriert: Ich fotografierte über 50 Hoftore in der Stadt und dachte mir dazu witzige Zweizeiler aus. Daraus erstellte ich einen Jahreskalender 2026 mit 53 Wochenseiten. Und als Kompaktversion auch einen Monatskalender mit 13 Seiten. Du kannst ihn hier anschauen und bestellen: TORheiten-Kalender

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    Wer schreibt hier?

    Irmgard Rosina Bauer ist Autorin von Lebens-Reisebüchern und Reiseerzählungen. In ihre Bücher verwebt sie ihre eigenen Lebens- und Reisegeschichten. Sie möchte Frauen Mut im Leben und zum Reisen machen.

    Mehr zu ihren Büchern gibt es hier.

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