Mit Low Budget wild im Wilden Westen

Kapitel 1 von 11
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Wie es zu dieser Reise kam
Mit meinen erwachsenen Kindern erwachsen umzugehen empfinde ich immer wieder als sehr große Herausforderung. Natürlich haben sie längst ihre kindlichen Trotzphasen und dann die Pubertät hinter sich gelassen, haben sich schon lange für Beruf und Lebenspartner*innen entschieden, haben nicht erst seit gestern ihr Leben aufgebaut. Und das läuft. Ohne mich!
Das erzeugt in mir inzwischen meistens Erleichterung: Ich bin nicht mehr zuständig. Sie leben ihr Leben auf ihre Weise, und die ist richtig. Hauptsache, sie wirken zufrieden und glücklich. Aber was, wenn nicht? Schon fühle ich mich wieder zuständig, den ein oder anderen Tipp abzugeben und bin dabei, zurückzufallen in die ach so typische, immer helfen wollende Mutterrolle. Zumindest von den Söhnen werde ich dann so eingestuft: „Du und deine kitschigen Gefühle!“ Als ob man dies doch alles gar nicht bräuchte. Ich falle an dieser Stelle gerne in eine klischeehafte Meinung: Töchter sind anders. Obwohl ich nur eine Tochter habe, fühle ich mich immer sehr wohl, wenn sie von den Gefühlen spricht, die ihren Alltag, ihr Leben mit ihren eigenen drei Kindern begleiten.
Natürlich freute ich mich – letztlich, im Zurückblicken – unbändig über Raffaels Entscheidung: „Du Mama, weißt du noch, als wir damals, auf dem Rückflug aus Peru, diese fünf Stunden Flughafen-Aufenthalt in New York dafür genutzt haben, die Stadt anzuschauen. Uff, das war knapp, beinahe hätten wir die letztmögliche Bahn zum Flughafen und zu unserem Flug nicht mehr erwischt! Damals hab ich dir versprochen, dass wir gemeinsam eine Woche in New York verbringen. Ich wollte dir den Flug bezahlen, weißt du das noch?“
Natürlich weiß ich das alles noch. Ja, die knappe Zeit zum Anschlussflug aus Lima über New York nach München war sehr aufregend. Und gleichzeitig möchte ich diese meine im ganzen Leben ersten und einzigen fünf Stunden in dieser unvergleichlichen Stadt kein bisschen missen. Ohne den Mut und Elan von Raffael wäre ich dieses Wagnis, unvorbereitet für nur fünf Stunden vom Flughafen nach New York City zu fahren, um mal bisschen über den Broadway zu spazieren, – barfuß, versteht sich! – keinesfalls eingegangen. Das war im Jahr 2010, als er vierundzwanzig war und ich vierundfünfzig. Auch auf weiteren gemeinsamen Reisen schätzte ich immer genau diesen Elan.
Und auch diesmal werde ich darauf setzen. Und einfach mitmachen in Situationen, wo ich alleine viel vorsichtiger und unentschlossener wäre.
Und nun also, vierzehn Jahre später, möchte er sein Versprechen einlösen.
Eigentlich passt es dieses Jahr nicht wirklich rein, eigentlich sind die nächsten Monate schon verplant, doch schleicht sich in meinem Hinterkopf immer mehr die Gewissheit ein: Du wirst nicht jünger, Frau Rosi!
Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich mich mit „Mädelchen“ angesprochen. Dann habe ich beschlossen, mich erwachsener zu betiteln und ging über zu „Frau Rosi“. Der siebzigste Geburtstag war inzwischen gar nicht mehr fern, meine Haare brauchten immer öfter neuen Farbschwung. Und wer wusste, wie lange ich noch gesund und zu großen Reisen überhaupt fähig war?
Die Vorüberlegungen
Meinen Besuch auf der Leipziger Buchmesse Ende März nahm ich gleich zum Anlass, Raffael in Dresden zu besuchen, und der genügte, um die Optionen auszuloten: Ein Wohnmobil mieten?
Ein modernes, handliches ist unglaublich teuer, bemerken wir bei unserer Recherche. Und so eins wie man es aus dem Film kennt, so ein großes, riesiges im älteren Stadium wird zwar viel billiger angeboten, verbraucht aber zwischen zwanzig und dreißig Liter Benzin und wird damit unkalkulierbar teuer bei einer langen Strecke.
Nach einigen Überlegungen kam Raffael auf die beste Idee und Lösung für uns überhaupt, indem er feststellte:
„Weißt du, eigentlich hab ich doch ne gute Ausrüstung und liebe es, draußen zu schlafen. Und du doch auch, Muttl!“
Er war erst im Februar mit seinem ältesten Bruder Dominik, 45 Jahre alt, auf den Kilimandscharo gestiegen und hat für die Übernachtungen auf dem Berg in Tansania seine Ausrüstung erneuert:
-Hyperleichte aufblasbare Schlafmatte,
-Minischlafsack, beides nicht größer als eine Elle und nicht dicker als eine große Faust.
-Moskitonetzlösung die nicht auf dem Gesicht aufliegt.
„Der Dominik ist sowieso für sowas ausgerüstet, der ist doch dauernd in der Wildnis Zyperns unterwegs, und in Afrika hat das bei uns beiden super funktioniert,“ und seine Augen leuchten bei dieser Idee. Wie recht er hat!
Und ich? Tatsächlich habe ich durch meinen Lebensabschnitts-Beruf als Outdoortrainerin viel Erfahrung im Umgang mit der Natur, mit Freiluftschlafplätzen, mit Kochen im Freien, und ich weiß, wie man mehrere Tage in wilder Natur verbringen kann. Bevor mein Mann Peter und ich uns einen Campingcar ausgebaut haben, bin ich in einem ganz normalen Van auch oft alleine in die Wildnis verreist. Und auf diesen Gedanken steigen wir beide, Raffael und ich, jetzt ein. Warum denn nicht gleich so!
Nein, wir brauchen kein teures Wohnmobil! Wir mieten uns ein Auto, ein ganz normales Auto. Nun gut, nach einigem Hin und Herrecherchieren kommen wir überein: Ein SUV dürfte es dann schon sein, für die langen Strecken, die wir fahren werden.
„Da kannst du doch innen im Auto schlafen, was meinst, Muttl?“
Der Gedanke gefällt mir sehr gut. Denn meine Ausrüstung für Outdoorabenteuer hat sich in den letzten Jahren eher auf den Campingcar abgestimmt und hat nicht mehr, wie bei ihm und Dominik, den Schwerpunkt „klein und leicht.“ Allein mein Daunenschlafsack hat zwei Komma drei Kilo und würde schon ein Drittel meines Rucksacks füllen.
Auch müsste ich dann teures Fluggepäck zubuchen. Wo ich doch Raffael nachahmen wollte, der überall hin mit Handgepäck reist.
Da erinnere ich mich an die Zeiten, als die Kids noch jünger waren und auf Festivals gefahren sind. „Ein internationales Publikum!“, erzählte Raffael damals von dort sehr begeistert. „Und wenn die zum Beispiel aus Schweden kamen, per Flugzeug, haben sie sich eine billige Mikro-Campingausrüstung in Deutschland gekauft und diese hinterher einfach auf dem Festivalgelände verschenkt.“
Ha, so mache ich es auch, schwirrt mir sofort die Lösung durch den Kopf.
Raffael reist überallhin mit Handgepäck. Und wieder einmal finde ich in meinem Sohn ein grandioses Vorbild für machbare Abenteuer, und ich spüre den Anreiz, nur mit Handgepäck in die USA zu reisen. Somit müssten wir nicht nur keinen großen sperrigen Koffer im Auto unterbringen, sondern ich könnte auch noch die separat zu entrichtenden Fluggepäckkosten sparen, zweimal, hin und auch zurück. Dafür konnte ich mir drüben in einem Walmart eine Ausrüstung zusammenkaufen!
Noch in Dresden buchen wir online den SUV.
Aus Dresden und Leipzig wieder daheim, fertige ich bereits eine Einkaufsliste an.
Unsere Formierung
Die Entscheidung zu dieser Reise fiel vor allem Raffael, der ebenfalls seine Zeit für seine freiberufliche Arbeit nutzen wollte, plötzlich leicht: Als er nämlich mit Dominik, seinem ältesten Bruder telefonierte. Der müsse eigentlich auf eine berufliche Konferenz nach
Las Vegas, sagte der. Doch habe er dazu kein bisschen Lust. Doch wenn wir alle drei …
„Dann halt nicht New York“, sagte Raffael zu mir, „dann halt Las Vegas, Mama! Mein Freund Michi hat letztes Jahr von dort aus mehrere Nationalparks besucht und hat sowas von geschwärmt! Das sei der schönste Urlaub seines Lebens gewesen, hat er gesagt. Allerdings auch der teuerste. Zwanzigtausend Euro hat er zusammen mit seiner Freundin ausgegeben!“
Er sagte dies recht beiläufig, als ob seine Gedanken in weiter Ferne schweiften. Dann stand sein Entschluss fest.
„Muttl, wir machen das auch! Aber mit weniger Geld!“
Sofort war mir klar: Hier mit einer Antwort zu zögern brächte seinen Schwung zum Bremsen.
Energie niemals bremsen, sondern nutzen, war einer meiner Wahlsprüche. Also zeigte ich schnell Begeisterung, selbst wenn ich in meinem Hinterkopf gleichzeitig abspulte, was in der von ihm angedachten Reisezeit so alles in meinem Terminkalender stand. Aber dann stand auch mein Entschluss fest: Alles nicht so wichtig. Alles verschiebbar. Jetzt!
Raffael bespricht sich telefonisch mit Dominik – und auch sein großer Bruder fängt bei dem Gedanken Feuer. Nicht nur wegen einer Konferenz nach Las Vegas fliegen müssen, sondern verbinden mit Abenteuer erleben, zum Wandern, zum Staunen, USA erkunden, ja, das gefällt auch ihm. Einige Tage später haben beide sich über günstige Flüge ausgetauscht – und gebucht. Auch für mich.
Oh, wie angenehm, mich nicht selber kümmern zu müssen. Und nun will er auch noch die Flugkosten übernehmen, mein Kleiner! Ich bin vollkommen raus aus der Verantwortung. Ich brauche mich nur noch um dieses doofe ESTA-Einreiseformular kümmern, um die Gültigkeit meines Reisepasses, um funktionierende Kreditkarten, vielleicht auch um einen internationalen Führerschein? Und welche Route nehmen wir überhaupt? Irgendwie … Irgendwo … Natur, Nationalparks …
Die verschiedenen Wünsche
Jeder von uns dreien hat das eine oder andere gehört und möchte es erleben. Ich die Riesenkakteen in New Mexico, und den Yosemite und den Yellowstone Park. Raffael den Arches Park, den Antelope Park, das Monument Valley. Dominik meldet Death Valley und Route 66 an. Plötzlich kommen ganz viele Punkte zusammen. Dominik hat nur eine Woche vor seiner Konferenz Zeit. Er lässt sich voll auf uns ein. Er hat Familie und wohnt mit ihr in Zypern. Fliegt von dort nach München und von hier weiter. Einen gemeinsamen Flug in die USA kriegen wir nicht hin. Immerhin kommt wenigstens Raffael aus Dresden zwei Tage vor dem Abflug zu mir nach München, wo wir die letzten wichtigen Details absprechen.
Es geht los
Wir drei sind uns einig, ohne viel darüber sprechen zu müssen: Viel Natur ist unser Ziel, wenig Stadt und also wenig Zivilisation. Draußen schlafen – ja, so romantisch-verspielt das auch klingt, wir mögen es. Alle drei. Frische Luft genießen, Kälte oder Wärme, mit den Geräuschen der Natur einschlafen, morgens von Vögelgesang und Sonnenstrahlen gestreift werden – sich wohlig damit räkeln und sich dann nochmal umdrehen und weiterschlafen. Welch ein Luxus! Am Morgen aus dem Schlafsack kriechen, dankbar sein, wenn wieder mal kein Skorpion Einschlupf gefunden hat, weil man sich gut geschützt hatte; wenn die Schuhe auch diesmal nicht klamm sind; und wenn es, wie angekündigt, wirklich nicht geregnet hat.
Das Gesicht mit Flusswasser abspülen – oder bei passender Uferstelle ein Ganzkörperflussbad nehmen. Ein Seebad. Ein Meerbad. Ein Wasserfallbad. Abtrocknen, und dann mal sehen.
Wir sind alle froh, wenn wir uns nicht erst in Schale werfen müssen, um beim Frühstück am Hotelbuffet erscheinen zu können.
Wo werden wir schlafen?
Es ist Samstag. Immer noch der zwanzigste April. Das Navi hat Raffael und mich in unserem schon bewährten SUV Nissan Rogue zum Flughafen geführt.
Schon klingelt das Handy, es ist Dominik. „Ich bin gelandet, wo seid ihr?“
„Geh immer Richtung Busstation, da kannst du direkt bei uns einsteigen.“
Als wir aber dort sind, können wir da nicht stehen bleiben, und wir fahren nochmal im Kreis, und nochmal im Kreis. „Ich bin da, wo seid ihr?“
„Wir fahren gerade zum dritten Mal im Kreis, warte einfach!“
Handy ist super!
Schnell packt er seinen kleinen Rucksack in den Kofferraum, ein kurzes heftiges Drücken, dann kann er auf dem hinteren Sitz Platz nehmen.
Er strahlt, Raffael strahlt, ich strahle, nein, wir strahlen laut hörbar, ein wildes Durcheinander an Begrüßungsformeln schleudert durch den Wagen, potenziert mit großer Erleichterung, dass alles geklappt hat und wir uns recht einfach gefunden haben. Schließlich kommt er aus Zypern, wann habe ich ihn zuletzt gesehen? Raffael hat Weihnachten bei ihm verbracht, aber ich? Es könnte im vorigen Sommer gewesen sein.
„Und in diesem kleinen Rucksack hast du Schlafsack, Zelt, Schlafmatte, Klamotten, alles drin?“, frage ich auch diesen Sohn mit großer und ehrfurchtsvoller Verwunderung.
„Na klar, kein Problem!“, sagt er. Und innerlich denke ich mir: „Wie praktisch ist es manchmal, ein Mann zu sein.“ Sage es aber nicht. Bitte keine Grundsatzdiskussionen mit meinen Kindern, habe ich mir vorgenommen.
Dominik kommt mit Plan an
So, und nun? Dominik, der Älteste hat einen Plan. So wie früher. Immer hat er großartig für seine drei Geschwister mitgedacht.
„Ich hatte einen Fensterplatz im Flugzeug und hab da einen sehr großen See gesehen, nicht weit von hier. Mit Segelbooten. Wo Boote sind, gibt es auch Marinas, wo man parken kann. Ich google mal.“
Dominik ist ein erfahrener Segler. Schon eine Minute später ruft er aus: „Mead Lake, so heißt der See!“
Dorthin leitet er Raffael, den heutigen Fahrer, per Google Maps. Und in etwa einer Stunde sind wir dort. Schilder leiten uns zu ausgedehnten Parkplätzen.
„Hierhin“, sagt er, „da sind ein paar Boote an Land abgestellt, da fahr mal einfach hin!“
Mehr sagt er nicht. Mir bleibt nur noch übrig, das Konzept so schnell wie möglich zu verstehen, als die beiden in Nullkommanichts ihre Leichtmatten aufgeblasen haben, den Schlafsack herausgezogen und ausgelegt und einen Drumherum-Schlafsack mit Moskitonetz und als Schutz vor kleinem Getier angerichtet haben. Letzteres wird spitz nach oben gezogen und an den Haken eines Bootes befestigt, sodass innen zum Netz hin genug Abstand gewahrt werden kann und kein Moskito das Gesicht erreichen kann.
Schon, dass die beiden vor kurzem den Kilimandscharo bestiegen haben, machte mich stolz, und nun kriegen sie auch diese Reise eingeschoben, alles Freiluft, versteht sich. Es macht mich froh und glücklich und schon wieder stolz, dass wir drei eine gemeinsame Leidenschaft haben: So viel outdoor wie möglich. I g’frei mi unbandig! , schießt mir auf Bayrisch durch den Kopf. Wahnsinn! Welch ein Glück ich doch habe!
Raffael hat es für sich beschlossen und schlägt vor, spätestens um 19 Uhr schlafen zu gehen, um den Jetlag von neun Stunden aufzufangen. Er, der Langschläfer, verspricht sich davon, seine Schlafzeit nach den fünf Wochen unserer Reise als neuen Rhythmus übernommen zu haben und ihn dann ganz einfach dem deutschen Rhythmus einzuverleiben.
Morgen Früh reicht immer noch
Schlafen. Müde. Ohne viel Klimbim und ohne Zähneputzen verabschieden sich die beiden.
„Und wie geht’s morgen weiter?“, versuche ich meinen Planungswunsch zu artikulieren.
„Können wir morgen Früh besprechen“, kommt noch aus Raffaels Schlafstatt. „Mit unserem Jetlag wachen wir eh früh auf.“
Ich habe mich anscheinend anders weiterentwickelt als Raffael – oder die beiden?
Endlich habe ich es nach so viel Rummel in meinem Leben geschafft, den Tag vorauszuplanen. Doch sehr wohl ging es in der Kindheit der beiden mit ihren zwei Geschwistern, beinahe gleichaltrig, sehr spontan zu, daneben hatte ich mit ihrem Vater ein Geschäft zu führen, daneben ein Weingroßhandel, mit einem Mann, der seine Beschlüsse meistens als Gesetz abgab, für die ganze Familie, wo diskutieren gar nicht mehr möglich war. Andere Zeit.
„Ich habe mir vorgenommen, das frühe Aufstehen von hier für zu Hause zu übernehmen“, wiederholt er. „Manchmal nervt es mich, dass ich so spät aufstehe und schon den halben Tag verschlafe. Vielleicht komm ich so besser um die Runden.“ Das war noch Raffael. Dann ist es still.
Lächelnd und froh und müde lege ich mich auf meine Matte im Auto.
Doch war es mir zu schnell dunkel geworden, die beiden waren mir zu schnell fertig mit ihren Schlafvorbereitungen, und ich – als Mama gewohnt, immer zuerst und vor allem zu sehen, dass es den Kindern gut geht – habe verpasst, meine Matte voll genug aufzublasen, mit genügend Luft. Und nun konnte ich nicht mehr recht sehen. Licht anmachen? Nein, Moskitos im Auto wäre ein Graus. Und außerdem: Nur ja kein Aufsehen erregen in unserem Wildcamp. Wer weiß, wer weiß, wer da … puh!
Also schlafe ich ziemlich ohne Matratze.
Und gar nicht gut.
Und trotzdem bin ich glücklich.
Es ist so schön, zwei meiner Kinder bei mir zu haben.
Am nächsten Tag werde ich mich weiter um meins kümmern.
Was brauchen wir wirklich?
Und nun beginnt unser erster gemeinsamer Morgen. Der Mead Lake ist glatt und glänzt im Sonnenlicht. Einer öffnet den Kofferraumdeckel – noch ist unser Einkauf nur hineingeworfen, Schweigend steht Dominik davor, überfordert von der Fülle der Einzelteile.
„Zum Frühstück brauche ich nur Kaffee“, sagt er. „Und also den Gaskocher.“
„Hier ist er.“ Raffael hatte nach dem Walmart Einräumen geholfen. „Und wir haben uns gedacht, wir kaufen nur einen Henkeltopf, in dem wir alles machen können, Wasser kochen und Reis und auch mal Dosenbohnen, wenn’s sein muss.“
Dominik nimmt sich einen der drei Plastikbecher.
„Und Mama hatte den genialen Gedanken, unser Geschirr in drei Farben zu kaufen. Dann braucht man nicht so gründlich sauber zu machen.“ Und grinsend fügt er hinzu: „Und ich kann nicht versehentlich einen Becher von dir nehmen, wo du schon reingeschleimt hast.“
„Ich nehm die orangen Teile“, sage ich.
„Dann nehm ich die blauen und du die grünen“, entscheidet Raffael.
„Nein, ich nehm die grünen und du die blauen!“ Dominik sieht ihn herausfordernd an, und mir entkommt ein lautes Lachen, die Erinnerung an früher: erst mal miteinander Herrschaftsanspruch spielen!
Jeder findet seins zum gewohnten Frühstück: Raffael die feinen Haferflocken mit Sojamilch, ich die groben Flocken mit dem Hüttenkäse, weil ich im Walmart trotz langen Suchens in den endlosen Regalen keinen Naturjoghurt gefunden hatte. Dominik dagegen ist sehr wichtig, dass er seinen Baristakaffee trinken kann, den er sich extra von seinem Lieblingskaffeeshop aus Zypern mitgebracht hat. Der musste noch rein in sein spartanisches Handgepäck.
Erst am Abend zuvor haben wir Dominik vom Flughafen abgeholt, doch es fühlt sich an, also ob schon Wochen dazwischenlägen. Das Auto war da bereits beladen gewesen– Lebensmittel, Gaskocher, zwanzig Wasserflaschen, ein Kochtopf, Geschirr, Küchenrolle – alles, was wir für das Leben und Übernachten in der Wildnis brauchen.
Das mit den Guns
„Der Hoover-Staudamm hier am Colorado muss großartig sein und nur zwei Kilometer weiter von hier. Den schauen wir uns doch an, oder?“
„Machen wir“, sagt Raffael.
Und ich? Wunderwerk Staudamm konnte ich noch nie bewundern, aber natürlich, natürlich schließe ich mich einfach an. Ich bekomme doch gerade die größte Befriedigung überhaupt: in der Nähe meiner Kinder zu sein.
Doch bevor wir hineinfahren konnten, hielt uns ein uniformierter Sicherheitsbeamter am Eingang auf. Müssen wir Eintritt bezahlen?
Nein, kein Eintrittsgeld wurde verlangt, sondern nur eine simple Frage war zu beantworten: „Haben Sie Waffen dabei?“
Uns war spontan nach prustendem Lachen, doch vielleicht war das eher nicht angebracht vor dem Officer mit Gewehr im Anschlag.
Unser Kopfschütteln reichte dann. Wir durften passieren.
Im Walmart, wo wir Salami, Schlafsack und Luftmatratze gekauft hatten, verwies man uns an einen Angestellten mit Schlüssel zum versperrten Glasschrank, aus dem wir einen Campingkocher und zwei Gaskartuschen für unsere Verpflegungsküche benötigten. Gleich daneben im selben Glasschrank standen Pistolen und Gewehre in allen Größenordnungen. Einzige Kaufbedingung, dieselbe wie für Gasherd und Gasflaschen und das Klappmesser: an einer separaten Kasse bezahlen, die dieser junge Mann bediente.
Wie selbstverständlich wäre es gewesen, neben Milch und Kaffee und Gaskartusche und Plastiktellern auch eine Waffe im Einkaufswagen zum Ausgang zu schieben.
Wer fürchtet sich vor was?
Manche Ängste oder Sorgen sind also begründet. Jeder von uns hatte seine eigenen.
Genau davor hatte Raffael Angst:
Er sprach es nie explizit aus. Aber bei jeder Schlafplatzsuche an den folgenden Abenden kam es irgendwie so nebenher aus ihm heraus, als Witz formuliert, der spürbar kein echter Witz war: „Ich liege am Boden auf meiner Luftmatratze, aber bei jedem Geräusch wache ich auf. Könnte ja so ein Psycho mit einem Gewehr herumschleichen und losballern.“
Wovor hatte Dominik Sorge?
Für Dominik durfte es ganz einfach nur nicht zu kalt werden. Tatsächlich mieteten wir wegen ihm später mal bei erwarteten Null Grad am Grand Canyon ein Zimmer in einem Motel. Ihm war wichtig, an der bevorstehenden Konferenz in Las Vegas gesund teilzunehmen und ohne Erkältung zurück zu seiner Familie zu kommen.
Welche Besorgnis hatte ich?
Dass ich als Mutter meine Söhne dominiere bzw. sie sich nach mir richten, weil ich die alte Mama bin und weil sie es so gewohnt sind. Ich wünschte mir ein paritätisches Miteinander, wo jeder seine Bedürfnisse und Wünsche äußert und darüber gesprochen wird, wie sie erfüllt werden können.
Am Colorado River
Es ist früh am Morgen, kurz nach halb sechs. Die ersten Sonnenstrahlen vertreiben die Dunkelheit, während die Vögel ihre fremdartigen, amerikanischen Melodien zwitschern. Ich liege im Auto, mit Blick auf den Colorado River, dessen Wasser still und dunkel dahinfließt. Auf der anderen Seite des Flusses erstrecken sich die grauen Hügel der Wüste, karg und weit, als ob sie in der endlosen Trostlosigkeit versinken. Hinter mir ragen die hohen Casinohotels von Bullhead City in den Himmel. Dahinter wieder endlos leblose Wüste. Die leuchtenden Werbefassaden, die nachts noch dominant die Dunkelheit erleuchteten, verlieren nun ihren Glanz gegen das heraufziehende Tageslicht. Wir sind schon in Arizona. Auch hier also Casinos, nicht nur in Nevada.
Dominik und Raffael schlafen noch, eingemummelt in ihre Schlafsäcke. Direkt am Fluss haben sie ihre Matten ausgelegt. Ich genieße den Moment der Stille, bevor sie aufwachen, genau so wie früher, bevor ich sie als Kinder für die Schule weckte.
Sobald die beiden aufwachen, werden sie sicher als erstes in den Fluss springen. Oh, wie ich das auch gern getan hätte! Ich bleibe dagegen zurückhaltend – meine hartnäckige Bronchitis, die mich beinahe vom Abflug in München abgehalten hätte, begleitet mich noch immer, und ich will kein Risiko eingehen.
Gleich neben seinem Kaffee ist für Dominik ein fleischhaltiges Mittagessen wichtig.
„Wir brauchen unterwegs einen Supermarkt.“
Nun, das werden wir wohl hinkriegen.
Zum Saguaro Nationalpark fahren
Heute steht die Fahrt zum Saguaro Nationalpark auf dem Programm. Ich kriege heute meine Riesenkakteen, wie man sie aus Dokumentationen und als Filmkulisse kennt, zu sehen! Fünf bis sechs Stunden Fahrt sagt das Google Maps vom Handy, das die beiden jungen Männer mal schnell mit zwei Klicks auf das Navi im Auto übertragen haben.
Schon sind wir auf dem Highway, da sehe ich das Hinweisschild und rufe mit verwunderter Begeisterung aus: „Hier geht’s zur Route 66!“
„Was ist das?“, fragt Raffael.
„Eine der berühmtesten Routen der Welt. Das ist Hippieleben schlechthin. Freies Amerika,“ sagt Florian.
„Freies Amerika, das will ich haben“, lacht Raffael, der zwar viel in der Welt unterwegs, jedoch bis auf die paar Stunden in New York nie in den USA war. Und schon schwenkt er, der Fahrer, von der Interstate ab.
Einiges ist auch noch übrig von dem Flair von damals – einiges gehört sicher zu lost places, so zum Beispiel mehrere verrostete Tankstellen. Kein Bedarf mehr, seit es die Interstate gibt.
In Winslow dann wollen die beiden nur mal kurz Rasierklingen kaufen und ich will derweil unbedingt ein Foto mit Glenn Frey von den Eagles haben. Und es mit „Take it easy“ leicht nehmen. Dieser Song ist hier entstanden, und die Stadt ehrt Glenn mit seinem Standbild und einem riesigen American Eagle. Da finde ich in WhatsApp eine Nachricht: „Sitzen hier im Café.“ Ein Navigationspunkt markiert den Platz. Puh, wie finde ich da jetzt hin? Für sie war es das einfachste, doch für mich – nun ja, andere Generation.
Das zweite Kapitel folgt.
Schreib mir einen Kommentar, was dir gefällt und was du (noch) vermisst.
Nein, kein Eintrittsgeld wurde verlangt, sondern nur eine simple Frage war zu beantworten: „Haben Sie Waffen dabei?“
Uns war spontan nach prustendem Lachen, doch vielleicht war das eher nicht angebracht vor dem Officer mit Gewehr im Anschlag.
Unser Kopfschütteln reichte dann. Wir durften passieren.
„Na klar, kein Problem!“, sagt er. Und innerlich denke ich mir: „Wie praktisch ist es manchmal, ein Mann zu sein.“ Sage es aber nicht. Bitte keine Grundsatzdiskussionen mit meinen Kindern, habe ich mir vorgenommen.
„Was ist das?“, fragt Raffael.
„Eine der berühmtesten Routen der Welt. Das ist Hippieleben schlechthin. Freies Amerika,“ sagt Florian.
„Freies Amerika, das will ich haben“, lacht Raffael, der zwar viel in der Welt unterwegs, jedoch bis auf die paar Stunden in New York nie in den USA war. Und schon schwenkt er, der Fahrer, von der Interstate ab.

Hintergrundinfos zu
„Fünf Wochen Muttertag“
Als Mama empfinde ich die Reise in den Westen der USA wie fünf Wochen Muttertag. Mit meinen erwachsenen Söhnen wild unterwegs zu sein erfüllt mich mit Stolz, aber auch Sorge: Bin ich nicht zu dominant? Oder werden fantastische Erlebnisse – und Abenteuer – dominieren?
Was hast du davon?
„Das Buch hat mir Mut gemacht!“, das höre ich am allerliebsten von meinen Leser*innen. Diesmal zeige ich dir, dass du auch mit low budget eine großartige Reise tun kannst. Lies hier das erste Kapitel.