Knistern

Käselieferungen, Frischwarenkisten überall, sollte alles schon im Kühlhaus stehen, Telefon, und auch noch diese Kunden! Dann noch den bestellten Geschenkkorb zu einem Fuffzigsten fertigstellen, ein Käserei-Vertreter steht in der Ecke und wartet auf seinen wöchentlichen Auftrag.

Schon wieder Telefon!

»Ja, Frau Steinmann ist da, einen Moment bitte.«

Die schaffen das einfach nicht! So zu tun, als ob ich eben nicht da wäre! Natürlich ist es so bequemer für euch, schimpfe ich über meine Angestellten still in mich hinein. Frau Stötzel reicht mir den Hörer.

»Der Herr, der vorhin die Geschenkkiste mit Wein abgeholt hat.«

Ich erschrecke. Herr Dahlmaier? War irgendetwas nicht in Ordnung? Habe ich was vergessen? Habe ich mich verrechnet? Ist die Kiste auseinandergefallen? Er ist ein sehr netter und sympathischer Kunde – habe ich ihn mit irgendetwas verstimmt?

»Hallo, hier Steinmann«, melde ich mich, mit Fragezeichen in der Stimme.
»Frau Steinmann, ich wollte Sie einfach nochmal hören. Sie haben so eine herrliche Ausstrahlung auf mich gehabt, das muss ich Ihnen jetzt sagen. Haben Sie gerade etwas Zeit?«

Seine Stimme klingt sehr freundlich, fast zärtlich, werbend. Mir ist heiß. Was ist da los? Wie kann ich das einordnen? Ich bin überfordert. Es ist helllichter Arbeitstag, Edith im Urlaub, ich vor lauter Arbeit unter Hochspannung. Die Tür zu unserem winzigen Büro, in dem auch die Spüle untergebracht ist, lässt sich nicht schließen, denn wie immer steht schmutziges Geschirr am Boden zwischen der Tür und dem Spülbecken, über dem das Wandtelefon hängt. Das bestellte Funktelefon ist immer noch nicht installiert.

Frau Stötzel steht nur zwei Meter von mir weg. Schön, so ein Anruf, aber auch sehr privat. Ich blocke:

»Ja, immer viel Arbeit habe ich«, sage ich mit der freundlichsten, offensten und gleichzeitig verhaltensten Stimme, die ich einlegen kann. Ich schwebe. Wenn nur Frau Stötzel endlich von da wegginge!

»Dabei scheinen Sie so ausgeglichen, so natürlich, so schaffensfroh, ich bewundere Sie. Sie haben’s mir angetan!«

Es folgt eine Pause. Mein Hirn ist leer. Ein einziges Knistern.

Blue Hawaii (Ausschnitt)

Die Semmeln im Flugzeug waren hart wie Beton. Dazu Salami und Käse. Immerhin echte Butter. Sie dachte an die Hände, die dies alles schon am sehr frühen Morgen zubereitet hatten. Tatsächlich hatte auch sie sich vor kurzem als Catering-Service für die Fluggesellschaft beworben, doch die Konkurrenz war groß – und für wenig Geld wollte sie sich nicht noch mehr Handarbeit, als sie ohnehin schon in ihrem Laden hatte, herholen.

Im Gegensatz zu ihr hatte Gernhardt sich mit dem Gourmetrion einen Lebenswunsch erfüllt. Essen und Trinken, das war für ihn Leben, Spaß und Beruf. Er nahm mit großer Leidenschaft viel Anstrengung auf sich, um hochwertige Nahrungsmittel von guten Lieferanten zu bekommen und zuzubereiten, beschnupperte dabei mit dem ihm eigenen stark ausgeprägten Geruchssinn alles Essbare, kostete jeden Wein sehr bewusst mit Nase und Gaumen. Niemals aß und trank er etwas ohne einen prüfenden Gesichtsausdruck, mit dem er Zutaten und Geschmacksstoffe analysierte, um dann mit geübten Worten feinste Nuancen in Zusammensetzung, Aroma oder den Reifegrad zu beschreiben.

Die Stewardess servierte den Kaffee im Styroporbecher. Der erinnerte Susanne an ihre Mensazeit in der Uni. Bei jedem Schluck die Fantasie, sie müsste in den Becher hineinbeißen, und allein bei dem Gedanken fühlte sie schon ein pfeifendes Knirschen auf den Zähnen.

Susanne bewunderte die geflissentliche Höflichkeit der Stewardessen. Zugleich suchte sie ihre Gesichter nach Unreinheiten ab. Warum nannte die Hautärztin Susannes Pickel im Gesicht Stewardessenkrankheit? Welchen psychischen Stress hatte denn sie, Susanne, mit Stewardessen gemeinsam?

Psychohexer

»Gehst du wieder zum Psychohexer?«, hatte Gerold gesagt, als sie sich erfolglos und verzweifelt von einem Psychologen zum nächsten geschleppt hatte. Dabei hätte sie Unterstützung gut brauchen können, denn in ihrem Inneren herrschte Chaos – und Angst. Sie würde sich mit ihrer Seele ausliefern müssen. Ein Psychologe würde Werkzeuge einsetzen, die sie nicht einfach anfassen konnte. Er würde damit in ihrer Unterwelt stochern und ihr Leben durcheinanderbringen. Obwohl es ohnehin schon aus den Fugen geraten war. Von der Krankenkasse wurden mehrere solcher Schnupperstunden bezahlt. Bis sie sich für Herrn Wieland entschieden hatte. Er war ihr in seiner Art zu fragen und auf sie einzugehen am vertrauenswürdigsten vorgekommen.

Im Grunde aber war es gar kein eigener Entschluss gewesen. Eigentlich war ihr einfach die Kraft ausgegangen. Ununterbrochen hatte sie eine heftige innere Unruhe gequält, die Geist, Körper und Seele durchwühlte, die sie unendlich viel Energie kostete, so dass letztlich ihre Erschöpfung den Ausschlag gab: Den nehm ich, der muss mir jetzt helfen, sofort! Ich kann nicht mehr!

Gerold schien ihren Erschöpfungszustand nicht nachempfinden zu können.

»Du bist doch ein Fall fürs Irrenhaus!«, kommentierte er Siglindes Bemühungen um Besserung ihrer Verfassung.

Schwiegermütter

Günters Möblierung war behelfsmäßig, die Küche nur minimal ausgestattet und die Sauberkeit, nun ja, entsprach nicht dem Anspruch einer guten deutschen Hausfrau. Anders ausgedrückt: Die Wohnung war, als ich kam, ein Chaos.

Die Vorhänge, die er von seiner Mutter bekommen hatte, lagen noch über einem Sessel. Eine Tischdecke auf dem Tisch strotzte vor Klecksern. Irgendwo auf dem PVC-Boden lag recht zufällig und unnütz ein fleckiger Teppich.

Benutztes Geschirr war – immerhin – notdürftig gespült und in das Becken gestülpt, anderes Geschirr befand sich unausgepackt noch in Kartons. Und an den Fußbodenleisten ringsherum hatten sich Schwadronen von Staubflusen angesammelt. Mein Dilemma war groß. Ich sah den Schmutz und die Unordnung, und das störte mich. Konnte ich wegsehen? War ich jetzt und in Zukunft dafür zuständig, ihm seine Wohnung vorzeigbar herzurichten, um dem sauberen Standard seines elterlichen Hauses nahezukommen? Nein, war ich nicht, entschied ich. Doch ich merkte, dass er seinen Eltern gegenüber gerne eine aufgeräumte Wohnung präsentiert hätte: »Bei meiner Mutter kannste vom Boden essen«, sagte er und sah mich dabei hilflos an.