Unsere Jeans


    Eine Kurzgeschichte über Rebellion, Freiheit und die 70er-Jahre

    Was haben enge Jeans, schmutzige Hosenbeine und rebellische Töchter gemeinsam?
    Diese literarische Kurzgeschichte blickt zurück auf ein halbes Jahrhundert, in dem Mode mehr war als Kleidung: ein Statement gegen Spießigkeit, gegen alte Strukturen – und für das Lebensgefühl einer ganzen Generation.

    Lass dich hineinziehen in ein Tischgespräch voller Erinnerungen, Witz, Selbstironie – und einer jungen Frau, die sich fragt:
    Was war denn an „euren Jeans“ so besonders?

    Unsere Jeans

    Der Lesegenuss dauert 5 – 7 Minuten

    Wir saßen in derselben Konstellation am Tisch wie damals von der zehnten bis zur dreizehnten Klasse, in jenen Tagen aber noch in Schulbankreihen: Conny neben Marion, Christiane neben mir, dann Witha – neben Witha fehlte leider schon Annette. Sie war vor sieben Jahren an Lungenkrebs gestorben. Ihre Stelle nahm an diesem Tag Amelie ein, 26 Jahre jung und Withas Tochter.

    »Hattet ihr keine Leistungskurse?«, fragte Amelie.

    »Wir waren der letzte Abi-Jahrgang in Bayern, wo das alte Klassensystem noch zugelassen war. Das ist jetzt genau vierzig Jahre her«, antwortete ihr Christiane, ehemals Mathelehrerin an einem Münchner Gymnasium, jetzt im Vorruhestand. Amüsiert musterte sie die junge Amelie – sie trug an beiden Augenbrauen ein Piercing, und ihr rechter Arm war bis über die Fingerspitzen mit Tattoos bedeckt.

    »Was wollt ihr jungen Leute damit eigentlich ausdrücken?«

    »Keine Ahnung, hab ich schon mit sechzehn machen lassen. Ist einfach cool.«

    »So ging es uns doch damals auch«, verteidigte sie Witha, die Mama. »Wisst ihr noch, unsere Jeans! Das war unser Symbol für Rebellion gegen die Alten.«

    »Jeans?«, fragte Amelie, »normale Jeans?«

    Als hätte sie in ein Hornissennest gestochen, antworteten wir vier alle auf einmal:

    »Unsere Jeans – die waren nicht normal!«

    »Die transportierten unsere Auflehnung gegen unsere Elterngeneration.«

    »Meine Jeans hatte ich Tag und Nacht an. Sie waren aus hartem, dunkelblauem Baumwollstoff, echtem Denim. Mit riesigem Schlag. Vernäht mit Doppelnaht, wisst ihr noch, von der keine irgendwo übernäht werden durfte, damit nur ja keine ›normale‹ Naht entstand, wie sie die Stoffhosen unserer Eltern aufwiesen.« Das war Marion, mit einem genüsslichen Grinsen im Gesicht.

    »So eng waren die Jeans, dass wir uns rücklings aufs Bett legen mussten, damit wir, mit eingefallenem Bauch, zuerst den Reißverschluss und dann den Knopf schließen konnten.« Sie machte dazu eine qualvolle Bewegung Richtung Bauch.

    »Und hinsetzen konntest du dich darin eigentlich gar nicht, nur leicht beugen, danach half die Gravitationskraft«, lachte Conny, die als Doktor der Physik in der Forschungsabteilung bei BMW gelandet war.

    »So mussten sie sein, so eng. Nur dann waren es echte Jeans, die das transportierten, was wir suchten: Freiheitsgefühl.«

    »Schönes Freiheitsgefühl, so eingezwängt«, lachte Amelie.

    »Ja, aber unseren Eltern gegenüber war das etwas Ungeheuerliches. Die fanden das furchtbar. Hosen, die nur bis zur Hüfte gingen und so eng waren, dass sie Hintern und die Oberschenkel auf unerhörte Weise zur Schau stellten.«

    »Meine Mutter wollte mich mit Vernunft überzeugen: Das schnürt die Geschlechtsteile ein und beeinträchtigt die Fruchtbarkeit,« sagte sie. »Dann brauch ich die Pille nicht mehr nehmen«, antwortete ich. Und meine Mutter wurde noch zorniger. ›Was, du nimmst diese Pille?!‹«

    Hämisches Lachen am Tisch. Und als Amelie verständnislos dreinsah, ergänzte Marion, die als freie Pharmareferentin arbeitete:

    »Es war erst wenige Jahre her gewesen, dass man die Antibaby-Pille – und nur mit gesundheitlicher Begründung – vom Arzt verschrieben bekam. Sie war noch ziemlich neu auf dem Pharmamarkt und noch nicht ausreichend erforscht, geschweige denn, dass genügend Testrunden gelaufen waren. Trotzdem aber sehr begehrt. Aber in der Bevölkerung galt sie noch als unsittliches Teufelszeug.«

    »Ich möcht gar nicht daran denken, wie lange wir unsere Jeans getragen und nicht gewaschen haben!«, erinnerte sich Christiane.

    »Stimmt! Wie eklig wir waren! Damals hab ich mich regelmäßig mit meiner Mutter angelegt, weil sie ständig meine Jeans waschen wollte. Mit ihrer schönen neuen Wirtschaftswunder-Waschmaschine. Ich hab meine Jeans jeden Abend vor ihrem Zugriff versteckt.«

    »Ja, wie eklig wir waren!«, rief Witha aus, dabei aber voller Begeisterung. »Mindestens drei oder vier Monate hab ich sie jeden Tag auf der Haut getragen, überallhin, von morgens bis abends, am liebsten noch nachts. Und noch kräftig die Hände an den Schenkeln abgerieben, dass sie noch speckiger wurden.«

    »Ja, so richtig speckig mussten sie sein.«

    »Wenn du sie ausgezogen hast, mussten sie wie zur Salzsäule erstarrt stehen bleiben, dann erst waren sie authentisch.«

    Gekicher am Tisch.

    Und dann nochmal Marion. Sie schüttelte sich.

    »Wie grauslich wir damals waren! Diese Jeans müssen ja gestunken haben, überall wo wir waren, und im Klassenzimmer erst!«

    »Das war eben der Duft eurer Generation«, amüsierte sich nun Amelie ihrerseits.

    »Immerhin wechselten wir täglich unsere Slips. Das war bei unseren Eltern noch lange nicht üblich gewesen!«

    Das Thema »Jeans« war unerschöpflich für uns. Immer mehr fiel uns dazu ein. Dass wir auf Fotos gesehen hatten, wie jugendliche Menschen, nicht viel älter als wir, sich zur Sonntagsfreizeit mit anderen jungen Leuten im Park trafen – aber alle ordentlich in Anzug, Hemd und Krawatte. Dass wir damals von unseren Jeans immer im Plural sprachen – im korrekten Englisch. Auch das unterschied uns von unserer Elterngeneration: Die hatte noch keinen Englischunterricht in der Schule. Und weiter, dass heute Jeans im …

    Dann wieder Conny: »Mein Vater konnte das Wort gar nicht aussprechen. Tschinns sagte er immer, Tschinnshose.

    »Er selbst trug ja immer nur ›Stoffhose‹, mit Hosenträgern«, fuhr Conny fort.

    »Mein Vater genauso!«, entsann sich Christiane. »Ohne Hosenträger hätten seine Hosen niemals gehalten. Er hatte einen riesigen Bauch nach vorne zugelegt, dadurch kriegte seine Hose die Form eines rechtwinkligen Dreiecks. Der rechte Winkel an der Krümmung der Wirbelsäule, am Scheitelpunkt bei 90°. Die Hypotenuse führte vom Bauchnabel bis zur Ferse.« Sie fuhr mit dem Finger in der Luft ihre mündliche Beschreibung nach.

    Wir kicherten, ja, ja, die Mathe-Frau, hatten dabei aber deutlich das Bild unserer Väter vor Augen.

    »Die Hypotenuse durch exakte Bügelfalten deutlich erkennbar«, ergänzte sie.

    »O, meine Mutter war Expertin im Bügelfalten-Bügeln«, fiel Conny dazu ein.

    Das, so waren wir uns wieder einmal einig, das ging bei Jeans gar nicht! Gebügelt und mit Knickfalten vorne und hinten! Das widersprach allen Gesetzmäßigkeiten unseres Lebens! Darüber mussten wir uns hier und jetzt noch weiter auslassen.

    »Dabei gab es Leute der älteren Generation, die sich für fortschrittlich hielten und Jeans kauften. Aber nicht in Jeansläden, wie sie damals ganz neu aufkamen, wisst ihr noch, sondern im …« – und hier erhob sie Augenbrauen und Stimme für eine besonders abwertende Betonung – ›… Herren- und Damen-Oberbekleidungsgeschäft‹. Die waren an der Bügelfalte sorgfältig geknickt und mit Klapp-Hosenbügeln aufgehängt. Diese Leute bügelten die Falten immer wieder rein, wenn die Jeans sich über Beinen und Knien ausb…

    Amelie, die selbst im Hosenanzug zu unserem Treffen erschienen war und bisher immer wieder über unsere Begeisterung geschmunzelt hatte, schüttelte hier leicht entrüstet den Kopf.

    »Du musst wissen, dass uns wirklich daran lag, uns abzugrenzen von der Generation vor uns. Stoffhosen und Bügelfalten machten für uns den Inbegriff von Spießigkeit aus. Und die war für uns immer verbunden mit überkommenem rechtem Gedankengut.  Überbleibsel der Nazizeit, gegen die die 68er ein paar Jahre vor uns revoltiert haben. Weil die alten Nazis auch in der jungen Bundesrepublik schon wieder in allen Gremien saßen. Ich erinnere mich auch noch an die vielen Männer mit nur einem Bein, mit nur einem Arm…

    »Letztlich unterstützten wir mit unseren Jeans die kommunistische Arbeiterbewegung«, überlegte Witha laut. »Jeans waren ja ursprünglich Arbeiterhosen gewesen. Wer von uns war in den Siebzigern nicht links gesinnt! Bloß nicht so rechts wollten wir sein, wie unsere Eltern gewesen waren! Extrem, wie Jugend nun mal ist, drifteten wir ins exakt andere Lager.«

    »Und was ist noch übrig von unserer bewegten Zeit?« Ein unsicherer Blick von mir in die Runde. Witha wusste wenigstens eine Antwort.

    »Na ja, eine ganze Menge! Indem wir unsere Jeans in der Gesellschaft etablierten, leiteten wir schließlich die moderne Freizeitgesellschaft ein. Vielleicht muss unser Nachwuchs auch das heute wieder hinterfragen. So mancher junge Mensch sehnt sich inzwischen wieder nach der Ordnung, die wir damals so nachhaltig über den Haufen geworfen haben.«

    »O ja, mit Stoffhose und Bügelfalten am Sonntag zum Volleyballspielen in den Park, dazu hätt ich Bock«, lachte Amelie spitzbübisch. »Das wär mal wieder Ordnung, richtige Ordnung!«

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    Wer schreibt hier?

    Irmgard Rosina Bauer ist Autorin von Lebens-Reisebüchern und Reiseerzählungen. In ihre Bücher verwebt sie ihre eigenen Lebens- und Reisegeschichten. Sie möchte Frauen Mut im Leben und zum Reisen machen.

    Mehr zu ihren Büchern gibt es hier.

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