Über einen Makel
Hier stehe ich und kann nicht anders: Ich liebe meinen Makel. Und doch wagte ich bisher nicht, aller Welt von ihm zu erzählen.
Ja, ich bin viel unterwegs. Aber da suche ich mir keine Pension. Und kein schickes Hotel. Mein Campingplatz ist kein Glampingplatz. Sondern ich liebe es, in der wilden Natur zu übernachten. Dafür habe ich manchmal nicht mal ein Zelt. Meistens aber mein selbstausgebautes Wohnmobil, das genau für solche Zwecke taugt: Die Farbe außen eher dunkel, damit es von weitem nicht auffällt.
Eine Miniküche mit 2 Kochplatten, die ich auch nach draußen in die Wiese stellen kann. Ich koche in dünnwandigen, leichten Töpfen. Und ich esse, ja, ich esse aus Plastiktellern. Sie sind so platzsparend und so leicht, dass ich einen davon für größere und kleinere Wildniswanderungen in meinen Rucksack packen kann. Der immer in den verborgenen Kammern in meiner Nähe ist. Ich habe Sportschuhe im Auto, die einem Münchner im Englischen Garten, würde ich ihm am Morgen begegnen, Verwunderung bis Verachtung ins Antlitz treiben würde. Und nein, ich fahre aus meinem Campingcar nicht die Rampe herunter, um den mitgeführten Smart herauszulassen, mit dem ich durch St. Moritz flitzen möchte, nein, auch nicht durch Sylt. Meine Outdoorkluft ist nicht das allerneueste Modell der angesagtesten Marke, und sie lässt mich auch nicht sehr hübsch aussehen. Doch ist sie reißfest, und ich kann darin schlafen, wenn ich mal am Abend nicht rechtzeitig ans Wohnmobil zurückkomme – ja, sie ist manchmal schmutzig.
In meinem geliebten Südfrankreich, das für Münchner Augen sehr unperfekt ist, habe ich ein Gelände gekauft. Der Weg dorthin ist nur notdürftig asphaltiert, Wasser hole ich vom Friedhof, und sollte es mal regnen, muss ich im Matsch die Gummistiefel tragen. Die Zikaden sägen den ganzen Sommer durch und machen mehr Lärm als der Autoverkehr in München. Ameisen wittern das kleinste Brotkrümelchen am Boden und bilden schnellstmöglich eine Straße in mein Auto, weil dort ein weiterer Krümel liegt. Den Kühlschrank muss ich des Nachts ausschalten, weil das Solarpaneel tagsüber nicht genügend Strom auch noch für Notebook und Handy und Powerbank und Lesegerät und Pocket-Router produzieren kann. Die vielen Vogelstimmen im benachbarten Pinienwald kann ich nicht auseinanderhalten, und kleine, südfranzösische Wildschweine besuchen häufig dieses Terrain.
Meinem Toilettengang geht eine Promenade durch Thymianweiden, Rosmarin- und Wacholderbüsche voraus, und mein Donnerbalken hält mich länger als nötig fest wegen der prächtigen Aussicht über benachbarte Weinberge auf die Hügelkette jenseits des Tals, das vor mir liegt. Ich dusche nicht jeden Tag, denn meistens genügt mir ein Bad im Flüsschen am Ende des Grundstücks – so es nicht gerade ausgetrocknet ist. In diesem Fall tut es der Fluss im Nachbardorf, der sich durch eine malerische Felslandschaft schlängelt und dessen glattgeschliffene Felsen mir ein vorgewärmtes Liegebett für ein Sonnenbad bereitet haben. Wenn es mir dort zu heiß wird, suche ich mir ein Schattenplätzchen unter Pinien und mache eine Siesta, wie es die Franzosen auch machen. Am Abend bedeckt mich ein weiter Himmel mit Glitzer, das bis nach Fernost leuchtet, wo sie es imitieren und mit viel Kunststoff für den Verkauf aufbereiten.
Mich gelüstet nicht nach einem Mercedes Coupé, denn „Open Air“ fährt auch mein alter Pritschenwagen in Südfrankreich, mit dem ich mich wunderbar an die Automodelle der hiesigen Landbevölkerung anpasse. Es ist mir äußerst unangenehm, diesen Makel vor meinen Freunden in München zuzugeben, bei denen ich seit vielen Jahren als eher schick gekleidet gelte.
Angefangen hat mein Spaß an der Wildnis mit meiner Soloreise durch Südfrankreich im Jahr 2008, die das Material für meinen Reiseroman „Und sonst nichts“ hergab. Ja, also mit 52.
Dass mein Mann mit meiner Wildnisleidenschaft nicht ganz mithält, bedeutet für meinen geliebten Makel einen Schönheitsfehler. Denn manchmal verwende ich in meinen begeisterten Beschreibungen der wilden Landschaft unachtsam den Plural, während er sich schon längst in die wohl bedachte Zivilisation zurücksehnt.
Ist das alles nun ein Makel?
Mein Makel jedenfalls beschert mir sehr viele glückliche Momente. Vielleicht ist er auch normaler, als ich denke.
Lisa/Lissi Schatz
Sollte es ein Makel sein, so ist es sicher einer der Schönsten und Befriedigensten die man sich denken kann…Makle einfach weiter ;)))
Irmgard Rosina Bauer
🙂 dein Kommentar gefällt mir! 🙂