Über Weihnachtsgeschichte

    Stille Nacht, staade Zeit – na ja.

    Warum sollen wir dieses Ideal aufrechterhalten, wenn es doch gar nicht real ist? Vielleicht sollte man Weihnachten als das lauteste Fest des Jahres deklarieren, damit man kein schlechtes Gewissen mehr hat, wenn einem die Ruhe nicht gelingen mag.

    „Jingle Bells“ und „Gloria in excelsis deo“, in stilvollen und in kitschigen Variationen dröhnt es aus den Lautsprechern der Stadt, die Musik- und Kaufrauschindustrie will jeden Geschmack bedienen. Und auch in Corona-Zeiten möchten wir ungern davon abgehen, von unserer Vorstellung, wie die Weihnachtszeit für uns zu sein hat.

    In der einen Familie duften schon seit Wochen die Weihnachtsplätzchen, in der anderen hängen fünf Adventskalender, gefüllt nicht nur mit Süßigkeiten, sondern mit aufwändig ausgesuchten Geschenklein. Wer hat sie ausgesucht und bezahlt? Es klingt nach Überfluss an Zeit und Geld. Schaffen wir mit Corona den Weg zurück in eine stille, ruhige Weihnachtszeit?

    Wer einmal Weihnachten an der Küste eines südlichen Landes verbracht hat, hinterfragt ohnehin die deutschen Gewohnheiten: Tannenbaum? Wächst hier nicht. Adventskranz? Beides ein Überbleibsel aus germanischem, heidnischem Brauchtum. Lichter am Baum? Sind eine Hommage an den Wunsch, dass es um diese Jahreszeit etwas heller sein möge. Gerne auch wärmer. Bei all dem Schnee. Den es aber auch nur in romantischen Vergangenheitsgeschichten gibt. Denn wie oft hatte ich schon wirklich an Weihnachten Schnee in der Stadt? Die Finger einer Hand genügen.

    Die zusammenhängenden Orte sind weiter gefasst als zu unseren Kindheitstagen, wo wir gar nicht vergleichen konnten. Die Bräuche können nicht mehr nur einer Gemeinschaft aus den nächsten zehn Dörfern zugeordnet werden. Wo in der einen Region der Christstollen heimisch war und in der anderen die Lebkuchen und in der nächsten der Honigkuchen. Wo in der einen Familie die Armut der Heiligen Familie am 24. Dezember bei Kartoffelsalat mit Mayo und Wiener Würstchen nachempfunden wurde, in der anderen bei Kartoffelsalat mit Speck und mit Leberkäs, in einer nördlicheren beim Heringssalat. Andere Gegenden waren reich an Gänsestopfleber, die zu haltbaren Pasteten verarbeitet werden musste, in wieder anderen gab es reichlich eingesalzenen Kaviar – dort ein Armeleute-Essen.

    Mit der menschlichen Neugier und den Möglichkeiten der Globalisierung vermischt sich alles. Der Stern von Bethlehem leuchtet auch in asiatischen Städten, wo man mit dem Christentum sonst gar nichts am Hut hat. Und man singt auch dort Stille Nacht, laut und mit angelernter Inbrunst.

    Bei hellem Sonnenschein mit zwanzig Grad über dem Mittelmeer fällt es mir im Vorfeld leicht, das heilige Weihnachtsfest für mich neu zu erfinden. Den Abstand zu finden zur Rührseligkeit mit Engelshaar, zu Glühwein, Nikolaus, Krampus, den Perchten. Zur Frage, ob es um das Christkind geht oder um den Weihnachtsmann oder Santa Claus. Ob er durch den Kamin kommt oder per Rentier auf dem Schlitten. Ob ich Apfel, Nuss- und Mandelkern auf dem Tisch dekoriere oder Granatäpfel. Ich entscheide mich für gar keine Dekoration und für ein ganz neuartiges Weihnachtsfest, wo ich mir Gedanken mache, ob ich das Fest der Liebe zur Abwechslung mal ganz exzessiv zelebriere, nämlich mit still und mit staad.

    Und da ist er dann, der 24te Dezember. Ich ziehe die Lautstärke der Playlist weit auf und schicke lautstark meine Stimme durch’s Haus: O Tannenbaum. Und dann: Leise rieselt der Schnee. Singt denn keiner mit?

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